Molekulares Tumorboard

Zielgerichtet gegen fortgeschrittene Krebserkrankungen vorgehen

Moderne Therapieansätze in der Onkologie nutzen die Tatsache, dass jede Tumorerkrankung individuell unterschiedlich verläuft, auch wenn sie aus dem gleichen Organ hervorgeht. Ein zentrales Element um onkologische Therapien festzulegen, sind die sogenannten Tumorboards. Bei diesen regelmäßig stattfindenden interdisziplinären Fallkonferenzen kommen Experten aus verschiedenen medizinischen Bereichen zusammen, um für jeden Patienten ein individuelles Therapiekonzept zu entwickeln. Für alle wichtigen Organsysteme gibt es spezifische Tumorboards. Am UniversitätsKrebszentrum Göttingen finden jede Woche 14 interdisziplinäre Tumorboards statt, in denen jeder Patient mit seiner individuellen Krankheitsgeschichte, bildgebenden Diagnostik, Pathologiebefunden und spezifischen Wünschen nach einem genau geregelten Ablauf besprochen wird. Die individuelle Therapieempfehlung erfolgt nach den nationalen und internationalen Behandlungsleitlinien.

Darüber hinaus gibt es immer wieder onkologische Fälle, für die es nach den aktuellen Leitlinien keine Empfehlungen mehr gibt. Um auch diesen Patienten eine Therapie zu ermöglichen, wurde am UniversitätsKrebszentrum Göttingen vor nahezu zwei Jahren eine neuartige und organübergreifende Fallkonferenz etabliert: das molekulare Tumorboard (MTB). Hier werden Patienten mit häufig fortgeschrittenen oder seltenen Tumorerkrankungen besprochen, um ihnen auf Basis einer erweiterten, molekularen Diagnostik eine individuelle Therapie im Rahmen klinischer Studien oder eines individuellen Heilversuchs zu ermöglichen. Für die Durchführung eines molekularen Tumorboards bedarf es einer besonderen Expertise, die eine der Voraussetzungen für die Auszeichnung von UMG und MHH als gemeinsames Onkologisches Spitzenzentrum durch die Deutsche Krebshilfe war, und die mit Unterstützung der AOK Niedersachsen finanziert wird.

Was ist ein molekulares Tumorboard (MTB)?

In den letzten Jahren hat die Entwicklung neuer hochwirksamer Medikamente die Behandlung vieler Tumorarten radikal verändert und für viele Patienten neue Hoffnung im Kampf gegen den Krebs eröffnet. Damit ein solches Medikament zum Einsatz kommen kann, müssen allerdings wichtige Voraussetzungen erfüllt sein: nach einem „Schlüssel-Schloss“ Prinzip können die Medikamente nur wirken, wenn die Tumorzellen dazu passende Veränderungen in ihren Molekülen aufweisen. Diese Veränderungen sind häufig in der Erbsubstanz (Genom) der Tumorzellen verankert. Zwar sind die meisten dieser Veränderungen nur in einigen Tumoren nachweisbar, gleichzeitig wächst aber die Zahl neuer „Schlüssel-Schloss Kombinationen“ stetig. In der Praxis bedeutet dies, dass große Teile des Tumorgenoms von speziell ausgebildeten Molekularpathologen untersucht werden müssen, um eine solche Kombination zu finden. Diese Testungen sind nicht nur aufwendig und kostenintensiv, sondern es entstehen auch riesige Datenmengen, die im Vorfeld des eigentlichen Tumorboards bioinformatisch durch Abgleich mit Datenbanken und wissenschaftlichen Veröffentlichungen aufbereitet und bewertet werden müssen. Aus diesem Grund sind an den molekularen Tumorboards neben Pathologen und den therapieverantwortlichen Onkologen auch Vertreter der Molekularbiologie, Humangenetik und Datenwissenschaften eingebunden. Derzeit werden in zweiwöchigen Abständen etwa 5-10 Patienten vorgestellt und intensiv besprochen.

Welche Patienten werden besprochen?

Im MTB der UMG werden einwilligungsfähige Patientinnen und Patienten mit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen besprochen, bei denen Standardtherapien bereits ausgeschöpft sind und die in einer körperlichen Verfassung sind, die eine weitere Therapie erlaubt. Hinzu kommen Patienten mit seltenen Tumoren, für die keine etablierte Standardtherapie existiert. Damit ein Patient im Molekularen Tumorboard vorgestellt werden kann, muss in einem zertifizierten Organtumorboard oder eines kooperierenden Zentrums formal festgestellt worden sein, dass alle etablierten Therapien ausgeschöpft wurden. Mit der Überweisung an das Molekulare Tumorboard werden auch alle relevanten Daten zum bisherigen Krankheitsverlauf übermittelt und die Kostenübernahme geklärt. Für Patienten mit seltenen Tumoren und sehr junge Patienten (<50 Jahre) besteht eine Kooperation mit dem MASTER-Programm des Nationalen Zentrums für Tumorerkrankungen (NCT) Heidelberg und dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK), wo Patienten unserer Region zusätzlich vorgestellt werden können.

Wie läuft eine Fallkonferenz ab?

Beim MTB wird zunächst der individuelle Verlauf der Tumorerkrankung des jeweiligen Patienten vorgestellt. Anschließend werden die molekularen Analysen des Tumors besprochen. Hierbei wird nach festgelegten Kriterien untersucht, ob und welche der „Schlüssel-Schloss Kombinationen“ in einem Tumor gefunden wurden und welche dieser Kombinationen für den Patienten die aussichtsreichste und verträglichste Therapiemöglichkeit darstellt. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, dass neben Experten für molekulargenetische Tumorveränderungen auch Ärztinnen und Ärzte anwesend sind, die gut mit der medikamentösen Behandlung maligner Tumoren, der Verträglichkeit neuer Medikamente und dem Umgang mit Nebenwirkungen vertraut sind, um Schaden und Nutzen einer Therapie gegeneinander abwägen zu können - im Idealfall die Ärzte, die den Patienten direkt betreuen. Aus diesem Grund wird am MTB der UMG derzeit erprobt, auch die betreuenden niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte über Online-Schaltungen in die Besprechungen des MTB einzubinden. Derzeit werden die technischen Voraussetzungen dafür geschaffen.

Welche Vorteile bietet diese zusätzliche Tumorkonferenz?

Für betroffene Patienten eröffnet sich mit der Vorstellung im MTB potentiell eine zusätzliche Therapiemöglichkeit, die im Idealfall das Leben verlängern oder die Lebensqualität erheblich verbessern kann. Für sie und ihre behandelnden Ärzte in der Region Südniedersachsen und Nordhessen wurde eine neue Anlaufstation geschaffen, in der mit konzentrierter Tumorexpertise und unter Anwendung hochmoderner qualitätsgesicherter Methoden Hilfestellungen bei der Therapieplanung angefordert werden können. Durch die Kooperation mit anderen Onkologischen Spitzenzentren in Deutschland hilft das Molekulare Tumorboard der UMG dabei, neue klinische Studien zu initiieren, um die angewandte Krebsforschung und -therapie zu verbessern.

Wie erfolgt die Anmeldung?

Die Vorstellung im MTB kann über die behandelnden Fachabteilungen der UMG nach Vorstellung im jeweiligen Organtumorboard direkt erfolgen. Darüber hinaus können auch die Partnerkliniken im Netzwerk des CCC Niedersachsen Patienten im MTB der UMG oder der MHH vorstellen. Hierzu muss zunächst das lokale Tumorboard der Partnerklinik nachweisen, dass eine andere leitliniengerechte Therapie für den Patienten nicht mehr zur Verfügung steht oder nicht durchgeführt werden kann und anschließend den Patienten an das MTB der UMG oder MHH überweisen.

Autoren

Direktor Institut für Pathologie

Prof. Dr. med. Philipp Ströbel

Prof. Dr. med. Philipp Ströbel

Kontaktinformationen

Oberarzt

PD Dr. med. Alexander König

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